\ Archiv \ Die Schutzbefohlenen
B I L D E R - G A L E R I E
2013 suchten 60 Menschen Asyl in Österreich und Zuflucht in der Votivkirche an der Wiener Ringstraße. Sie wurden vertrieben und ausgewiesen, dabei drohte den meisten von ihnen bei Ausweisung in ihr Heimatland der Tod. Wenige Wochen später ertranken hunderte Asylsuchende aus Afrika vor der Küste von Lampedusa bei dem Versuch, Europa zu erreichen – seither ist die süditalienische Insel zum Symbol für die lebensgefährlichen Fluchtrouten geworden, zu denen die Suche nach Asyl tausende Menschen führt.Diese Ereignisse nahm Elfriede Jelinek 2014 zum Anlass, Geflüchteten eine Stimme zu geben. Die österreichische Nobelpreisträgerin schrieb mit "Die Schutzbefohlenen" eine vehemente Auseinandersetzung über den Umgang unserer Wohlstandsgesellschaft mit Flucht, Abschottung und Xenophobie: Wie kann ein System humanistischer Ideale gleichzeitig ein System der Ausgrenzung sein? Die Brisanz des Themas Flucht reißt nicht ab: Dem Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zufolge waren Ende 2020 weltweit 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Textes sind bereits über fünf Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Flucht undVertreibung sind kein kurzfristiges und vorübergehendes Problem mehr, schreibt UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi. "Wir brauchen eine grundlegend neue und positivere Haltung gegenüber allen, die flüchten, gepaart mit einem viel entschlosseneren Bestreben, Konflikte zu lösen, die jahrelang andauern und die Ursache dieses immensen Leidens sind."Elfriede Jelinek lässt sprach- und bildgewaltig diejenigen zu Wort kommen, die uns zum Schutz anbefohlen sind. Tagespolitische Ereignisse, philosophische und antike Texte verdichten sich in ihrem Stück zum wütenden Wortstrom gegen Passivität und Gleichgültigkeit.
Regisseur Janis Knorr, der zuletzt unter anderem am Staatstheater Kassel "Der NSU-Prozess. Die Protokolle" inszenierte, stellt sich mit der Arbeit an Elfriede Jelineks politischem Sprachkunstwerk erstmals dem Bamberger Publikum vor.
Hinweis: Rollstuhlfahrer*innen bitten wir, sich vor dem Theaterbesuch dieser Inszenierung mit unserer Theaterkasse in Verbindung zu setzen.
Aufführungsdauer: 1 Stunde und 30 Minuten
PREMIERE: 12. MAI 2023
Ein Premierenabend, der unter die Haut geht. (Fränkischer Tag)
"Das hätte auf der Bamberger Bühne schiefgehen können, wenn Substanz und Verständlichkeit dem Effekt geopfert worden wären. Es kam anders, Gott sei Dank. Das hatte viel mit den Schauspielerinnen und Schauspielern zu tun. Philine Bührer, Antonia Bockelmann und Marek Egert bändigten Jelineks wilde Collage und transportierten Textbaustein um Textbaustein verständlich in die Zuschauerreihen. Sie spielten Schicksalsgöttinnen, Flüchtlinge, Chauvinisten und Bürokraten: Mit großer Lust warfen sie sich in ihre Rollen hinein." (Fränkischer Tag)
Regisseur Janis Knorr schienen weder der Nobelpreis Jelineks zu lähmen noch die Wirkungsgeschichte des Stücks. Zu der gehört eine von Rechtsextremen ins Werk gesetzte Störaktion. Jelineks wild wucherndes Textgestrüpp stutzte Knorr mutig und entschlossen auf gerade einmal 90 Minuten zusammen. Die mit der Dramaturgin Petra Schiller erarbeitete Inszenierung setzte ein mit der Coda, um die Jelinek ihre Originalfassung erweitert hat. Erst etwa zur Halbzeit sprang die Bamberger Inszenierung an den Beginn von Jelineks Stück. (Fränkischer Tag)
Am Ende von „Die Schutzbefohlenen“ minutenlanger Applaus. (Fränkischer Tag)
Zu den bombastischen Klängen des „O Fortuna“-Satzes aus Carl Orffs berühmter „Carmina Burana“ treten die drei großartigen Schauspieler*innen Antonia Bockelmann, Philine Bührer und Marek Egert, durch Maske und Kostüm an die drei griechischen Schicksalsgöttinnen erinnernd, in Erscheinung und beginnen ihr rund eineinhalbstündiges von allerlei Perspektiv- und Sprachwechsel geprägtes sarkastisches (An-)Klagelied an die ach so feinen Werte Europas inmitten eines Bühnenbildes, das der Empfangshalle eines Hotels gleicht. (Rezensöhnchen)
Alles in allem lädt uns das Stück ein oder besser gesagt, fordert uns regelrecht zum Reflektieren darüber auf, was für eine Gesellschaft wir sein wollen und welche ursprünglich europäischen, „feinen“ Werte wir wirklich zu vertreten bereit sind. Der langanhaltende Applaus erscheint angesichts der Leistung der Schauspieler*innen, der Regie und aller weiteren an der Produktion des Stückes beteiligten Menschen mehr als nur berechtigt. (Rezensöhnchen)